Berlin, 20. August 2020. Carsten Hütter, Bundesvorstandsmitglied und sächsischer Landtagsabgeordneter, fasst die handfeste Krise des sächsischen Verfassungsschutzes wie folgt zusammen:

„Der Wechsel an der Spitze des sächsischen Verfassungsschutzes am 1. Juli 2020 begann mit einem handfesten Skandal. Es wurde bekannt, dass unter dem abgelösten Verfassungsschutzpräsidenten Gordian Meyer-Plath rechtswidrig Daten von sächsischen AfD-Abgeordneten gespeichert worden seien. Auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz zu diesem Thema sprach dann auch der Innenminister Prof. Wöller davon, dass sich die Amtsführung an Recht und Gesetz halten müsse und bestätigte damit die Auffassung von der Illegalität der Abgeordnetenüberwachung. Ein paar Tage später verlautbarte der neue Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian, dass die gesammelten Daten noch einmal zügig auf ihren rechtlichen Bestand überprüft würden.

Fakt ist, dass es für die Beobachtung von Mandatsträgern besonders hohe Hürden gibt. Eine solche wäre beispielsweise dann zulässig, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Abgeordnete sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft. Solche Anhaltspunkte lagen aber gerade nicht vor, sodass die Datenspeicherung bereits aus diesem Grunde rechtswidrig war.

Damit aber nicht genug. Sofern nämlich bei der Beobachtung Methoden der heimlichen Informationsbeschaffung angewendet werden, sind die Hürden nochmals höher gesetzt. Die sogenannten nachrichtendienstlichen Mittel dürfen gegen Landtagsabgeordnete gemäß Paragraph 5 Absatz 4 Sächsisches Verfassungsschutzgesetz nur angewandt werden, wenn sie zuvor vom Präsidenten des Landtages genehmigt worden sind. Eine solche Genehmigung ist allerdings nicht bekannt. Damit bekommt die Frage, ob der sächsische Verfassungsschutz auch im Verdeckten vorging, also nicht nur auf öffentlich zugängliches Material zurückgriff, eine besondere Brisanz.

Bisher ist letzteres nicht auszuschließen, ja, es ist sogar sehr wahrscheinlich. Es ist beispielsweise bekannt, dass der Verfassungsschutz besonderes Augenmerk auf die Kontrolle beziehungsweise Sichtung von sozialen Medien, wie Facebook, legt. Bekannt ist ebenfalls, dass der Verfassungsschutz dabei – der technischen Entwicklung angepasst – seine Mitarbeiter auch in der digitalen Welt verdeckt arbeiten lässt. Warum also sollten sich die Landesamtbediensteten nicht beispielsweise – unter Verwendung eines Fake-Profils – als ‚falsche‘ Freunde getarnt den Zugang zu Chatgruppen der Abgeordneten erschlichen haben oder sogar in einen Nachrichtenaustausch mit diesen getreten sein?

Die Aussicht auf eine solche vergleichsweise unkomplizierte Art der Informationsbeschaffung über virtuelle Agenten muss verlockend gewesen sein. Es steht zu befürchten, dass die Verfassungsschutzmitarbeiter dem nicht widerstehen konnten. In solchen Fällen wäre eine rote Linie zweifelsohne überschritten, das Amt hätte klar rechtswidrig gehandelt. Erschwerend kommt hinzu, dass juristisches Fachpersonal beim Verfassungsschutz so gut wie nicht vorhanden ist. Eine korrekte interne Analyse darüber, was zulässig ist und was nicht, war so kaum möglich.

Die mangelhafte Analysefähigkeit in Gänze wird schon seit Jahren bemängelt.  Es liegt nun an dem Innenminister Prof. Wöller und dem neuen Verfassungsschutzchef Christian, die möglichen illegalen Tätigkeiten des Verfassungsschutzes zu prüfen sowie entsprechende Verdachtsmomente konsequent und transparent auszuräumen.“

Drucken